Lernen in der Hängematte

heilpädagogisches Förder- und Therapiekonzept
bei Dyskalkulie - Rechenschwäche und Wahrnehmungsstörungen Logo Dyskalkulie-Rechenschwäche-Wahrnehmungsstörungen

Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war
"Nichts ist im Kopf, was nicht vorher in den Sinnen war."
Nur durch konkretes Wahrnehmen und Handeln entwickelt sich Intelligenz, Wissen und Können!

Hier eine vereinfachte Darstellung zum Lehr-und Lernvorgang für Mathematik und Aufzeigen der dafür notwendigen Anforderungen bzw. Störfaktoren.

Lernstufe 1: Konkretes Handeln und Umgehen mit Material

Mathematik beginnt schon weit früher als erst in der Schule. Schon in der Säuglingszeit wird die Fähigkeit die Umwelt zu strukturieren, mathematische Prozesse zu verstehen angelegt. Damit ein Kind Mathematik und die Welt der Zahlen "begreifen" kann, muss es vorher vieles in ganz normalen Alltags- und Spielsituationen erfahren und "gegriffen" (erfasst) haben, verinnerlicht haben und sich dafür entsprechende Begriffe gebildet haben.

Die Lernstufen beginnen mit dem praktischen Handeln am konkreten, anfassbaren, begreifbaren, dreidimensionalen Material bzw. Gegenstand.


lernprozess Stufe 1

Ein Kind, das also Bruchrechnen lernen soll, muss schon früh in seinem Leben viele sensomotorische Grunderfahrungen (z.B. Brot teilen) gemacht haben, damit es sich eine innere Vorstellung von Brüchen bilden kann.

Es braucht viel bewegtes Handeln im Umfeld. Das beginnt schon beim Säugling, der sein Rasselchen beleckt und ertastet und somit verinnerlicht was glatt, rund oder eckig bedeutet, noch lange bevor er die sprachlichen Begriffe dafür kennt. Und auch spätere schulischen Inhalte müssen erst im praktischen Leben und Handeln "begriffen" und "erfasst" werden.


tg

Das vorige Foto beinhaltet eine Handlung aus dem Alltagsleben, wie sie auch weit vor Schulbeginn erfahren und beobachtet wird. Auf diese Grunderfahrungen wird später beim Bruchrechnen aufgebaut.

Hier handelt und operiert nun das Schulkind mit Brüchen an ganz konkretem Montessori-Material. Es ist extra schlicht und einfarbig gehalten, um nicht vom Lerninhalt abzulenken. In der Montessori-Pädagogik wird dies "Isolierung der Schwierigkeiten" genannt.

Lernvoraus-
setzungen für Lernstufe 1

Denn um "Begreifen" und "Handeln" zu können braucht man gewisse Fertigkeiten.

  • Visuelle Antizipation (sich einen künftigen Bewegungsschritt schon mal vorzustellen)
  • Und sich rückblickend an die Bewegungsabläufe und -muster erinnern (motorische Ausführung).
  • Wahrnehmung von Körperlage und Körperschema (Orientierung am eigenen Körper)
  • konzentrierte Aufmerksamkeit
  • Augen-Hand-Koordination (Verknüpfung zweier Fähigkeiten, dem Sehen und dem Greifen)
  • taktile Diskriminationsfähigkeit (Reize durch Tasten einordnen zu können)
  • Bewegungsplanung
  • Kraftdosierung
  • visuelle und auditive Wahrnehmungsleistungen (Sinnesreize der Augen und Ohren filtern, vergleichen und einordnen)
  • visuelles Vorstellungsvermögen (sich ein innerliches Bild von Zustand oder Handlung machen)
  • Erinnerung an die Muskeltonusregulation ( Muskelspannung und -regulierung)
  • Überkreuzung der Mittellinie
  • Selbstvertrauen, Selbstsicherheit
  • Selbstkontrolle
  • Selbsteinschätzung

u.v.m.


Was bedeutet das für die Dyskalkulie-Therapie?

Einmal muss eben die Wahrnehmung als Lernvoraussetzung gefördert werden. Dazu muss geschaut werden, auf welcher Stufe das Kind Schwierigkeiten hat und da angeknüpft werden. Das heißt, es ist bei den meisten Kindern sehr viel mit konkretem Material nachzuholen. Montessorimaterial ist da ideal dazu, aber natürlich auch andere.


Lernstufe 2: Bildhafte und statische Darstellungen

Nachdem die Rechenoperation ganz praktisch, mit Körper und Sinnen, durchgeführt wurde, dann können die Lerninhalte und Rechenoperationen auch in abstrakteren, bildhaften, zweidimensionalen, vor allem statischen, Darstellungen in Schulbuch, Arbeitsblättern oder Tafel erfasst werden.

Besonders wichtig ist in dieser Phase die sprachliche Verknüpfung zwischen konkreter Handlung und theoretischem Begriff. ("Plus, Minus, ein Drittel, Teile, teilen, gleich usw.") Es kann von einer ziffernmäßigen Handhabung begleitet werden.


Darstellung im Schulbuch

Hier ist Zufügen (Plus) und Wegnehmen (Minus) im Schulbuch recht anschaulich illustriert. Trotzdem ist es schon die 2. Lernstufe.

Oft wird diese mit der 1. Stufe verwechselt. Aber in der 1. Lernstufe handelt das Kind ganz praktisch mit Gegenständen indem es etwas hinzufügt oder wegnimmt.

Aber eine zweidimensionale Zeichnung ist schon sehr abstrakt und statisch. D.h. das Kind muss sich das Vorher und Nachher, sowie die Rechenhandlung innerlich vorstellen. Das ist schon eine erhebliche kognitive (geistige) Leistung.

(Foto aus "Welt der Zahl 2" Schrödel Verlag)

Lernvoraus-
setzungen für Lernstufe 2

  • Vorstellung des Handlungsablaufs
  • visuelles, motorisches, auditives Gedächtnis
  • konzentrierte Aufmerksamkeit
  • Figur-Grund-Differenzierung
    (das Erkennen einer Figur vor dem Hintergrund, also Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden)
  • Erkennen von Strukturen
  • Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem
  • Sprachverständnis
  • akustische Diskriminationsfähigkeit
  • feinmotorische Fähigkeiten wie oben
  • u.v.a. mehr

Lernstufe 3: Verkürzung auf ausschließliche ziffernmäßige Handhabung

Hier kann sich auf schriftliche Symbolen beschränkt werden und auf Material und Abbildungen verzichtet werden. Den Aufgabeninhalt und -ablauf sollte das Kind sich jetzt im Kopf vorstellen können.

Bruchrechnen Schulbuch
Nach einigen Zwischenstufen, in dem Material und Abbildungen Ziffern zugeordnet werden, dominiert hier nun die ausschließliche Zifferndarstellung. Die bildlichen Darstellungen sind nunmehr abstrakt in eine ziffernmäßige Form gebracht. Man erwartet nun die Umsetzung dieser Symbole in Handlungen.

Lernvoraus-
setzungen für Lernstufe 3

  • seriales, auditives, motorisches, visuelles Gedächtnis (sich Handlungsfolgen zu merken)
  • operatives Abstraktionsvermögen (ein Blick auf die Aufgabe genügt, um sich die Rechenoperation geistig vor Augen zu halten)
  • Konzentrationsfähigkeit
  • Ausdauer
  • Lateralität
  • alle Anforderungen wie in den vorigen Stufen u.v.m.

Lernstufe 4: Bloße Vorstellung und Automatisierungen

Vieles hat sich jetzt automatisiert (1x1, Kopfrechnen) und gehört jetzt zum Grundwissen. Das Kind kann ohne Hilfsmittel sich die Rechenoperatonen vorstellen und Lösungen finden.


Kopfrechnen
Die Automatisierung von Rechenaufgaben spart Zeit, entlastet das Gehirn und erleichtert das Lösen von komplexen Aufgaben.

Lernvoraus-
setzungen für Lernstufe 4

  • Assoziatives Gedächtnis (Zusammenhänge und Strukturen erkennen, verknüpfen und sich merken)
  • Abstraktionsfähigkeit (Symbole verstehen)
  • Vorstellungskraft
  • alle Anforderungen wie in den vorigen Stufen u.v.m.

Wie zeigt sich also die Rechenschwäche?

1. Kinder an Lehrplan anpassen? Oder Lehrplan an Kinder anpassen?

Wenn die Ursache der Rechenschwierigkeiten daran liegt, dass die einzelnen Stufen nicht ausreichend bewältigt sind, kann man das Problem beheben indem man jedem Kind die Zeit zugesteht, die es braucht bzw. Zeit erhält um die vorigen nachholen.

Sie sind durch die Schulstruktur (die Kinder in Klassen aufzuteilen) und durch Lehrplan und Unterricht überfordert. D.h. an alle Kinder einer Klassenstufe werden die gleichen Anforderungen gestellt und abgeprüft (Klassenarbeiten).

Eine gute Alternative ist das "Pensenbuch" Modell der Montessorischulen. Hier geht es nicht um das Erreichen eines allgemeinen Klassenziels, sondern um die einzelnen Lerninhalte für die es spezielle, abgestufte (von konkret bis abstrakt) Materialien gibt. Das Kind darf solange mit einem Material und auf der gleichen Stufe arbeiten, bis es "begriffen" hat und wechselt erst dann in die nächste Stufe. Da die Klassen altersgemischt sind, ist es auch nicht peinlich für ein Kind. Auch wenn es sich auf einer niedrigeren Stufe befindet als die Altersgenossen, es gibt dort immer Kinder, die sich auf einer höheren und auch niedrigeren Stufe tummeln.

Die einen Kinder rechnen

  • mit dem Goldenen Perlenmaterial ohne Zehnerüberschreitung
  • mit dem Goldenen Perlenmaterial mit Zehnerüberschreitung
  • mit dem Markenspiel
  • mit dem Rechenrahmen
  • auf dem Arbeitsblatt

Damit der Lehrer einen Überblick hat gibt es das Pensenbuch, eine Art individuelles Curriculum.


2. Wahrnehmungsstörungen und Sensorische Integrationsstörungen

Es kann aber auch sein, dass die Stufen nicht bewältigt werden können, da die Lernvoraussetzungen nur mangelhaft ausgebildet sind.

Das Kind muss ja über bestimmte Wahrnehmungsleistungen und Fähigkeiten verfügen. Sonst kann es, trotz guter Intelligenz, zu gravierenden Lernschwierigkeiten wie Rechenschwäche, kommen.

Außer den (selteneren) Ursachen wie schwerer Körperbehinderung, Mangel an Gelegenheiten (z.B. Verwöhnung, Vernachlässigung, langwierige Erkrankung), liegt die Ursache mangelhaft ausgebildeter Fähigkeiten in einer Entwicklungsverzögerung im neurologischen Bereich, die Wahrnehmung bzw. sensorische Integration betreffend sein.

therapieOft fehlen nur einzelne "Kettenglieder" in der "Entwicklungskette, die nachgeholt werden müssen, um die vorhandenen Fähigkeiten voll ausnutzen zu können.

Viele Fachleute haben sich mit der Entwicklung und Förderung der Wahrnehmung, sowie auch möglichen Störbereichen und Entwicklungsverzögerungen befasst und man weiß inzwischen, wie die notwendigen Voraussetzungen zur Bewältigung der oben genannten Stufen erworben werden.